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Auswirkungen von Traumata auf die kindliche Entwicklung


Über die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen erleben vor ihrem 18. Lebensjahr ein potenziell traumatisches Erlebnis. Wenn dieses Erlebnis sie so überwältigt, besteht das Risiko einer Traumatisierung. Es folgt die Diagnose einer PTBS bzw. KPTBS. Dabei bildet die Diagnostik der Komplexen PTBS bei Kindern und Jugendlichen eine Spezialkategorie.


DEFINITION Trauma

Die Wortherkunft des Begriffs Trauma stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Verletzung oder Wunde. In der Medizin bezeichnet es eine körperliche Verletzung oder Behinderung, die durch einen Unfall entstanden ist. In der Psychologie beschreibt der Begriff hingegen eine seelische Verletzung oder Erschütterung (vgl. Horn, A., 2020). Die Ursprünge des Traumas gehen auf die Forschung zu Hysteriephänomenen (psychisches Verhalten, das von der Norm abweicht) am Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Pioniere wie Jean-Martin Charcot, Pierre Janet und Sigmund Freud entdeckten, dass unbewältigte Erinnerungen sich immer wieder ins Bewusstsein drängen und hysterische Ausbrüche verursachen (vgl. Horn, A., 2020).

 

Da wo der Schmerz das Erträgliche übersteigt, die Psyche in Schock versetzt, das Gehirn und den Körper außer Gefecht setzt, wie ein Blitz unauslöschlich einschlägt: Dort wird der Schmerz augenblicklich zu einem Teil von uns. Das Erleben einer unerträglichen Qual wird in der Amygdala (…) eingebrannt. Es wird dauerhaft festgehalten. Oft ist es eine Serie von Körper und Geist verstörenden Ereignissen, wobei jedes Ereignis die Erfahrung des Leids noch tiefer in das Gehirn und in die Seele einbrennt. (Parens zit. nach Hopf 2017, s.83)

 

Dieses Zitat von Henri Parens beschreibt das Wesen eines Traumas sehr gut. Um das Trauma gänzlich zu erfassen, sind mehrere Zugänge nötig. Zum einen aus neurobiologischer und physiologischer Sichtweise (Das Erleben einer unerträglichen Qual wird in der Amygdala (...) eingebrannt) und setzt Gehirn und Körper außer Gefecht, zum anderen aus psychologischer Sicht (Es wird dauerhaft festgehalten. Oft handelt es sich um eine Serie (...) von verstörenden Ereignissen, wobei jedes Ereignis die Erfahrung des Leids noch tiefer (...) in die Seele einbrennt) (vgl. Burchartz, A., 2019).

 

Das Trauma setzt sich nach psychoanalytischer Sicht aus drei Elementen zusammen:

1.     Einem Ereignis oder einer Serie von Ereignissen:

Ein oder mehrere Ereignisse, die physisch und/oder psychisch die Existenz bedrohen und somit große Angst hervorrufen.


2.     Zusammenbruch der Bewältigungsmöglichkeiten:

Das Individuum wird von der Situation überwältigt und kann weder seine Emotionen noch sich selbst noch die Situation oder das Problem regulieren.

 

 3.     Abwehrmechanismus:

Psychische, physische und soziale Manöver, mit denen sich der Betroffene vor weiteren traumatischen Erlebnissen und/oder ähnlichen Situationen schützen möchte, die aber Folgeprobleme nach sich ziehen.


Über die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen erleben vor ihrem 18. Lebensjahr ein potenziell traumatisches Erlebnis. Wenn dieses Erlebnis sie so überwältigt, besteht das Risiko einer Traumatisierung. Es folgt die Diagnose einer PTBS bzw. KPTBS. Dabei bildet die Diagnostik der Komplexen PTBS bei Kindern und Jugendlichen eine Spezialkategorie.


Beziehungsstrauma

Besondere Bedeutung spielen dabei die Beziehungsstraumata, welche durch Bezugspersonen oder nahestehende Personen entstehen. Diese werden auch im Typ-III-Trauma verzeichnet, da Kinder in jüngsten Jahren von den Personen traumatisierte werden, die sie eigentlich schützen sollten. Das Beziehungstrauma kann dann noch in verschiedene Formen unterteilt werden:

  • Trennungstrauma

  • Psychische Vernachlässigung, Deprivation

  • Sexueller Missbrauch

  • Körperliche und psychische Misshandlung




Diese Formen unterscheiden sich in ihrer Symptomatik und den Auswirkungen. Gemeinsam haben sie jedoch die erlebte Hilflosigkeit, existenzielle Angst, den Verlust von Vertrauen und den Zusammenbruch der Bewältigungsmöglichkeiten des Ich sowie nachhaltige Entwicklungsstörungen. Traumafolgestörungen sind Teil des traumatischen Prozesses, und es gibt eine breite Palette von psychischen oder psychosomatischen Störungen, die durch Traumatisierungen entstehen können:

  • Dissoziative Zustände (Abspaltung der eigenen Gefühle und/oder Identität)

  • Intrusionen und Flashbacks (Wiederholung des Traumas)

  • Bindungsstörungen

  • Angststörungen

  • Depression und Suizidalität

  • Narzisstische Probleme und Identitätsstörungen

  • Und weitere

Dabei stehen diese Störungsbilder stets im Zusammenhang mit Defiziten in den Objektbeziehungen und Bindungen der traumatisierten Kinder und Jugendlichen. Diese sind jedoch maßgeblich für die Entwicklung der Persönlichkeit, den Umgang in zwischenmenschlichen Beziehungen (Objekten) und das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen (Bindung) verantwortlich. Deshalb ist der entscheidende Unterschied zwischen einer Traumatisierung von Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Identifikation und Ich-Entwicklung gestört werden, was dann zu Persönlichkeitsstörungen führen kann. Daher ist die Diagnose PTBS (ICD 10) für Kinder und Jugendliche oft ungenau. (vgl. Mentzos S., 2020 & Burchartz, A., 2019)


Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Kinder und Jugendliche, die traumatisiert wurden, meistens eine Persönlichkeitsstörung zur Folge hat, da sich das Ich und damit die Identität nicht entwickeln konnte. Sie haben Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen, fällt es ihnen schwer, Menschen zu vertrauen oder eine Bindung aufzubauen. Diese Bindungen wären jedoch wichtig, um eine Identität zu kreieren. (vgl. Burchartz, A., 2019)


Literaturverzeichnis

 

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Burchartz, A. (2019). Traumatisierung bei Kindern und Jugendlichen: Psychodynamische verstehen und behandeln. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.

 

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